KORRUPTION IST IN DEN KOMMUNEN EINE SYSTEMATISCHE ERSCHEINUNG

Von wegen kölscher Klüngel
Seit 1996 wurden in Wuppertal dutzende städtische Angestellte und Handwerker wegen Korruption verurteilt. Letztes Jahr kamen der Direktor der Deutschen Bank, der Geschäftsführer der Diakonie, ein Bauunternehmer, ein Architekt und weitere Mitglieder der Bergischen High Society wochenlang in Untersuchungshaft. "Das ist vielleicht der größte Korruptionsskandal in einer deutschen Stadt", meinte der leitende Oberstaatsanwalt damals.

Natürlich täuschte er sich. Nur so als Beispiel: Seit Anfang der Neunzigerjahre wurden in München 634 Staatsdiener, Ingenieure und Unternehmer zu 586 Jahren Gefängnis und 19 Millionen Euro Geldstrafe verurteilt, wegen Korruption beim Bau von Straßen, Kanälen und Klärwerken. Die elf überlasteten Staatsanwälte und die Gerichte sind noch mitten in der Arbeit.

In Hamm wurde der Wirtschaftsdezernent zu Gefängnis verurteilt. Er hatte vom Unternehmen Babcock 1,7 Millionen Mark Schmiergeld angenommen und dafür die Müllverbrennungsanlage durchgepaukt. Das war übrigens 1986. Im Gerichtsverfahren hatte Babcock, später auch an der Kölner Müllverbrennungsanlage beteiligt, in aller Unschuld und in aller Öffentlichkeit das Vorgehen erläutert: Man habe die verdeckten Zahlungen geleistet, "um die vielfältigen Widerstände und Einwendungen gegen die Müllverbrennungsanlage zu überwinden". Der Dezernent gab an, die Hälfte des Geldes an die beiden großen Hammer Ratsfraktionen weitergegeben zu haben. Durchsuchungen bei Babcock und anderen Anlagenbauern folgten, in anderen NRW-Städten, in Schleswig-Holstein und Bayern. Wie gesagt, das war 1986.

Jetzt kommt das große Erstaunen. Daran ist eigentlich nur erstaunlich, dass es erst jetzt kommt. Das nun eilig bemühte Klischee vom "kölschen Klüngel" und vom "Kölner Korruptionssumpf" ist wohl das letzte Aufbäumen vor der Erkenntnis, dass Korruption in der deutschen Kommune eine systemische Erscheinung ist, und das seit Jahrzehnten. Und wenn wir erst mal in die neuen Bundesländer gehen, wo es zudem keine Staatsanwälte wie in Wuppertal, München und Frankfurt gibt ?

WERNER RÜGEMER

Publizist in Köln, Mitglied von Transparency International.
Demnächst erscheint sein Buch "Colonia Corrupta".
taz Nr. 6702 vom 16.3.2002, Seite 11, 50 Zeilen (Kommentar), WERNER RÜGEMER,






Stellt Braunschweig eine positive Ausnahme dar in der bundesdeutschen "Kommunenlandschaft" oder bedarf es auch in Braunschweig einer systematischen Untersuchung von politischen Entscheidungen der letzten Jahre, die materielle Konsequenzen für die Stadt Braunschweig und Ihre BürgerInnen hatten und haben?

Vor dem Hintergrund der Studie von Erwin K. Scheuch und Ute Scheuch in Auftrag der Wirtschaftsvereinigung der CDU Nordrhein-Westfalens[1] stellen sich folgende Fragen:



Welche Personalabsprachen wurden in den vergangenen Jahren zwischen CDU und SPD (Stadtratsfraktionen und Parteigliederungen) in Braunschweig getroffen, insbesondere hinsichtlich Ämtern und Posten?



Welche "Ausgründungen" städtischer Dienstleitungen in privatrechtlich verfasste Betriebe wurden in den vergangen Jahren in Braunschweig vorgenommen?



An wen wurden die so entstandene Aufsichtsratsposten, Vorstands- oder Geschäftsführerposten vergeben?

Welche Vergütungen wurden von welchen Gremien, das heißt von wem beschlossen?



Welche Notare, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfungsunternehmen haben in den vergangen Jahren für die Stadt Braunschweig und ihre Betriebe/Gesellschaften Rechtsvertretungen wahrgenommen und Wirtschaftsprüfungen vorgenommen?



Gab es in der Vergangenheit umfassendere juristische Verfahren, in denen die Stadt Braunschweig ihre Rechtsvertretung an Anwälte übertragen hat? Wenn ja, an wen und welche Honorare /Prozesskosten wurden fällig?



Welche profitablen Bauprojekte wurden in den vergangen Jahren in Braunschweig ausgeschrieben und an wen vergeben? Gibt es personelle Verquickungen mit Amts- oder Mandatsträgern?



Des weiteren:

Welche Beispiele justitiabler Vorteilsnahme für Amts- oder Mandatsträger in Braunschweig gab / gibt es? (Aus anderen Kommunen sind bekannt: Geringe Mietzahlungen für städtische Immobilien; günstige Ankaufmöglichkeiten städtischen Baugrundes; Extragenehmigungen für private oder gewerbliche Bauvorhaben; Begünstigungen für Aufsichtsrats- /Vorstandsposteninhaber durch Schenkungen von Reisen, Sachgeschenken etc.




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[1] Erwin K. Scheuch und Ute Scheuch: Cliquen, Klüngel und Karrieren. Hamburg 1992